Leben, Wohnen, Arbeiten in Gammertingen

4 Stadt Gammertingen Die Qualität der Stadtgrün- dung, welche nach Südosten über die spätere Stadtmauer hinausreichte, der mutmaßli- che Neubau der Dorfkirche St. Leodegar (Patrozinium des Habsburger Hausklosters in Lu- zern) im Jahre 1276 sowie das archäologisch belegte Schei- tern der Stadtgründung bin- nen weniger Jahre können als Argumente für eine Konstella- tion angeführt werden, die Albrecht neben der Stadtherr- schaft kurzzeitig wohl auch denGammertinger Grafentitel einbrachte. Nach dem raschen Ende der württembergisch- habsburgischen Verbindung durch den TodMechthilds kam es 1285 zumReichskrieg gegen Württemberg, an eine Fortfüh- rung der Stadtgründung war spätestens jetzt nicht mehr zu denken. Im Jahr 1291 war Gammertin- gen an die Grafen von Verin- gen übergegangen, die im Konflikt mit Habsburg ihre al- ten Kernlande aufgeben und sich gedemütigt nachGammer- tingen und Riedlingen zurück- ziehen mussten. Es dauerte bis in die 1320er Jahre, bis unter GrafWolfrad der unterbroche- ne Stadtgründungsprozess wiederaufgenommen wurde. Weil auch die heruntergekom- mene Michaelskapelle im Jahr 1330wiederaufgebaut worden war, lässt sich annehmen, dass Wolfrad auch am alten Gam- mertinger Schloss bei St. Mi- chael bauen ließ. Zu einer dau- erhaften Veringer Residenz sollte es jedoch nicht kommen: Wolfrad verstarb noch im sel- ben Jahr ohne Erben, Gammer- tingen fiel an seinen in Hettin- gen residierenden Bruder Graf Heinrich. In der Zeit der Verin- ger Stadtherrschaft entwickel- ten die Bürger und Handwer- ker in der Stadt einen gewissen Wohlstand, Selbstverwaltung und ihr eigenes Gericht. Für 1351 ist eine überlieferte um- fangreiche bürgerschaftliche Altarstiftung an der Dorfkirche St. Leodegar. Ummauert war Gammertingen wohl seit dem 14. Jahrhundert, wobei die heutigen Stadtmauerreste noch den ursprünglichen Ver- lauf spiegeln. Ihre endgültige Ausdehnung erhielt die Alt- stadt aber erst in der Folge ei- nes großen Stadtbrands um oder kurz nach 1410, welcher die Stadt mindestens zur Hälf- te zerstörte. Die bislang süd- westlich der Schwedengasse verlaufende nordöstliche Stadtmauer wurde danach an die Lauchert vorverlegt, das neu gewonnene Areal wurde mit Brandschutt aufgefüllt. Der Brand fällt genau in die Zeit (1408-1415), in der nominell nochGrafWölfle von Veringen Stadtherr war, sein Erbe aber Bildillustration von Gammertingen um 1280 durch archäolo- gische Ausgrabungen in der Hohenzollernstraße belegt. Im Hintergrund entsteht der Kirchenneubau von St. Leodegar. Geschichte der Stadt Gammertingen bereits von Heinrich von Rech- berg verwaltet wurde. Rech- berg nutzte die Gunst der Stun- de und baute Gammertingen zu einer modernen Residenz- stadt um. Am Unteren Tor er- richtete er einen repräsentati- ven Schlossbau, der quer zur heutigen Hohenzollernstraße stand und den nach Osten ge- legenen Schlossplatz von dem nachWesten gelegenenMarkt- platz trennte. Der alte Schloss- bezirk bei St. Michael wurde aufgegeben, außerhalb der Stadtmauer wurde die Obere Mühle neu errichtet. Bezogen wurde die Rechberger Resi- denz wohl 1431, als Heinrichs Erbe zu dessen Lebzeiten zwi- schen seinen Söhnen aufgeteilt wurde: Gammertingen fiel an Heinrichs jüngsten Sohn Hans, als Fehdehelfer und „Raubrit- ter“ eine außergewöhnliche historische Figur. Hans von Rechberg nutzte Gammertin- gen als militärischen Stütz- punkt im Kampf gegen die Eidgenossenschaft, bis spätes- tens 1439 muss die Stadt ver- teidigungsfähig ausgebaut gewesen sein. Zwischen 1447 und 1468 zwi- schenzeitlich wieder württem- bergisch, fiel Gammertingen an die gut betuchten Herren von Bubenhofen. Hans von Bubenhofen, Landeshofmeis- ter bei Graf Eberhard im Barte, brachte neue Impulse in die Stadt. Im aufgegebenen Schlossbezirk bei St. Michael hatte die Herrschaft nach wie vor umfangreichen Besitz, was Bubenhofen nutzte, um den alten Traumvon einer Stadtkir- che innerhalb der Mauernwie- derzubeleben. An das kleine und zuvor nur noch in Teilen sakral genutzte Gebäude bau- te er einen Chorturm an, der an beiden Seiten über das Langhaus der Kapelle hinaus- ragte. Südöstlich der Kirche fügten. In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts fanden sowohl die Grafen von Gam- mertingen als auch deren vor- städtische Niederungsburg, vermutlich im Zusammenhang mit der Tübinger Fehde 1164/ 66, ihr Ende. Ihre Niederungs- burg brannte vollständig nie- der. Die Siedlungwurde jedoch nicht aufgegeben. Über die weibliche Erbfolge konnte ein Kernbereich der ehemaligen Grafschaft zusam- mengehalten werden, der im mittleren 13. Jahrhunderts in der Hand des Württembergers Ulrich I. des Stifters erscheint. Tatsächlich könnte Ulrich, mit dem der spätere Württember- ger Leitname erstmals in der Familiengeschichte belegt ist, auch dynastisch ein direkter Erbe der Gammertinger Grafen sein. Auch die Gammertinger Stadtgründung könnte noch in württembergische Zeit gehö- ren: Ulrichs Tochter Mechthild heiratete 1274/75 den Habs- burger Albrecht von Schenken- berg, einen illegitimen Sohn König Rudolfs. Bis heute zieren daher die Hirschstange und der Löwe einträchtig das Gammer- tinger Stadtwappen.

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