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Die Michaelskirche mit Schalenturm.

Äußerer Kirchenbezirk

Das auf einem Hügelsporn über der Rems gelegene Ensemble ist mit

mittelalterlichen Mauern eingefriedet. Ein Teil dieser Wehrmauern

ist der „Schalenturm“ (1463) im Osten der Michaelskirche.

Der Kirchenhügel hatte vermutlich seit dem frühen Mittelalter

christliche Bedeutung. Es wurden Spuren von zwei Vorgängerkirchen

gefunden. Der Kirchenbezirk umfasst die spätgotische, als Staffel-

hallen-Kirche konzipierte Michaelskirche, die in ihrer heutigen Form

Ende des 15. Jahrhunderts erbaut wurde, sowie eine zweigeschossige

ebenfalls spätgotische Kapelle, das Nonnenkirchlein.

Die Michaelskirche war im 15. und 16. Jahrhundert Mutterkirche für

das ganze untere Remstal. Besonders markant: der Chor mit Kreuz-

rippengewölbe. Der Name des Erbauers von Chor und Turm ist im

Innenraum links über dem Chorbogen angeschrieben: Hans von

Landau. Über seinem Namen kann man das kleine Schild mit Jahres-

zahl und Meisterzeichen des Erbauers des Kirchenschiffes und Voll-

enders der Michaelskirche sehen: Peter von Lahn. Von Lahn hat das

Kirchenschiff als dreischiffige Halle gestaltet. Das Mittelschiff ist höher

als die Seitenschiffe, deshalb wird das Kirchenschiff als „Staffelhalle“

bezeichnet. Kirchenschiff und die Chorräume weisen unterschiedliche

Netzgewölbe mit teilweise reich verzierten Schlusssteinen auf. Ihre

bildlichen Darstellungen geben Einblick in die religiöse Praxis vor der

Reformation. Im Mittelschiffgewölbe findet sich eine Mutter-Gottes-Darstellung mit Jesuskind und Granatapfel. Die goldenen Schrift-

zeichen auf dunklem Grund werden als der hebräische Gottesname

„Jahwe“ gelesen. Der linke, nördliche Seitenchor ist dominiert von

einem großen Halbrelief des Erzengels Michael. Mit der Rechten stößt

er dem Drachen das Schwert in den todbringenden Rachen. Dass

ihm die linke Hand fehlt, ist allerdings nicht Schuld dieses Drachen,

sondern des „Zahnes der Zeit“. Das Michaelsrelief hat den „Bilder-

sturm“ der Reformationszeit überdauert. Vermutlich genoss es große

Verehrung. Der Name „Michaelskirche“ ist allerdings erst nach 1950

eingeführt worden. Der Holzaltartisch, der mitten unter dem Bogen

des Hauptchores steht, wurde im Rahmen einer großen Kirchen­

renovierung im Jahr 2000 vom Architekten E. Laichinger entworfen.

Er besteht aus Elementen der neugotischen Emporenbrüstung. – Bei

der Renovierung war nämlich die Empore verkleinert worden, wodurch

das Kirchenschiff eine deutlich weitere Wirkung erhielt. Die Kanzel

aus dem Jahr 1484 zeigt die vier berühmten Lehrer und Prediger

der christlichen Kirche des Abendlandes, jeder mit dem Symbol eines

Evangelisten: Augustinus mit dem Matthäus-Engel, Gregor mit dem

Lukas-Stier, Ambrosius mit dem Markus-Löwen und Hieronymus

mit dem Johannes-Adler. Die drei mittleren Fenster des Hauptchores

wurden 1957 anstelle der im Krieg zerstörten Fenster von Professor

Martin Domke gestaltet. Das mittlere Fenster mit dem auferstandenen

Christus ist das Osterfenster. Es wird eingerahmt vom Weihnachts-

fenster (links) und dem Passionsfenster (rechts). Der Innenraum der

Michaelskirche wurde den Bedürfnissen der Zeit entsprechend immer

wieder verändert. Bei einer großen Renovierung 1866 wurde die Zahl

der Sitzplätze stark erhöht. In die Seitenschiffe wurden Emporen mit

neugotischen Brüstungen eingebaut. Die große Orgel stammt aus

dem Jahr 1971. Im Jahr 1978 wurden die Kirchenbänke entfernt und

durch Stühle ersetzt. Ursprünglich war die Michaelskirche von einem

ganzen Ensemble von Gräbern und Kapellen umgeben. Die einzig

erhaltene Kapelle ist das Nonnenkirchle wenige Meter entfernt.

Das Nonnenkirchlein, erbaut zwischen 1426 und 1510, erhielt seinen

Namen nach dem früher in der Nähe stehenden und 1634 nieder­

gebrannten Haus der Beginen, die nach der dritten Regel des Heiligen

Franziskus lebten und für die ein eigener Eingang und eine Empore

gebaut waren. Der mit einem schönen Netzgewölbe geschmückte

Raum im Obergeschoss wurde 1980 renoviert. Die Schlusssteine gehören

teilweise zu einem der üblichen Zyklen der 14 Nothelfer (Erasmus, Georg,

Achatius – dann folgen Sebastian, Lamm Gottes, Christusantlitz,

Johannes, Christus, Sabinus). Ob damit an Herzogin Sabine, der

Gemahlin Herzog Ulrichs, die 1498 im Heiratsvertrag Stadt und Amt

Waiblingen zugewiesen bekam, angespielt wird, ist bei der seltenen

Darstellung des Heiligen möglich, aber nicht nachweisbar. Die doppel-

geschossige Kapelle, deren Untergeschoss wahrscheinlich zeitweise als

Beinhaus diente, war für einige Zeit die Kapelle eines Beginenhauses.

Beginen, eine Art dritter Orden von Frauen, die meist aus finanziellen

Gründen nicht in reguläre Orden aufgenommen wurden, gab es in

den meisten Städten. Sie waren als fromme Laienbewegung in den

Niederlanden entstanden. Beginen waren als freiwilliger Zusammen-

schluss frommer Frauen in einigen Berufen tätig, bis hin zum Bestat-

tungswesen. Die Nähe zum Friedhof um die Kirche könnte auch auf

eine derartige Tätigkeit hinweisen. Das zugehörige Wohnhaus existiert

nicht mehr, die ehemalige ,,Nonnenempore“ ist an den Ansätzen der

Kragsteine im reich geschmückten Obergeschoss noch erkennbar.

Belege für die Existenz eines Beginenhauses gibt es genügend. Im

Untergeschoss wurde die Grablege eines Mannes freigelegt, die

Zuordnung ist unklar. Auch zeitlich herrscht in der Forschung

Uneinigkeit. Der unbekannte Tote wurde wohl etwa zwischen 1450

und 1490 bestattet.

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