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vom Abstecken der Stadtfläche über das Werben einer Bürgerschaft,

der Verteilung der Grundstücke bis hin zum Häuser- und Mauer-

bau geht es sicher über einen längeren Zeitraum. Dort, wo uns die

Sindelfinger Chronik erlaubt, einen solchen Prozess zu beobachten,

wie etwa im Fall Rottenburgs, zieht sich die Bauphase über ein

Jahrzehnt und länger hin.

Wenn wir also ehrlich sind, werden wir nicht so sicher wie noch vor

fünfzig Jahren behaupten können, dass das Jahr 1250 mit abso­

luter Sicherheit das Gründungsjahr von Waiblingen gewesen ist. Wir

werden auch nicht mehr so ausschließlich wie damals die militä-

rische Funktion der Stadtgründung unterstreichen wollen. Eine

Stadt ist ein polyfunktionales Gebilde: Es ist bevölkerungsmäßiger,

wirtschaftlicher, geistiger und kultureller Mittelpunkt einer Region

ebenso sehr wie militärischer Mittelpunkt als eine Art Großburg.

Waiblingen entstand an einer Stelle, welche die Staufer im Rahmen

ihrer Städtegründungen trotz verkehrsgeographisch günstiger Lage

hatten aussparen müssen, weil die dortigen Rechte bereits an die

Württemberger gekommen waren. Waiblingen entstand, als die

politischen Verhältnisse den Grafen von Württemberg es plötzlich

ermöglichten, an Rems und mittlerem Neckar innerhalb weniger

Jahre einen politischen Schwerpunkt ihrer Territorial-Herrschaft zu

errichten. Waiblingen war wohl nicht die älteste Stadt der Würt-

temberger, sie hatten Stuttgart bereits als Heiratsgut aus der Hand

der Markgrafen von Baden erworben. Die These, dass Waiblingen

als ehemals salischer Besitz der Mittelpunkt des württembergischen

Territoriums hätte werden sollen, dann aber von Stuttgart abgelöst

wurde, dürfte obsolet sein, da Stuttgart schon vor der Gründung

Waiblingens in der Hand der Grafen von Württemberg war und

sicher eher Herrschaftsmittelpunkt war als Waiblingen.

Wenn wir also das Entstehungsjahr von Waiblingen nicht genau auf

das Jahr 1250 datieren können, so ist die Zeit um 1250 sicher der

richtige Rahmen, innerhalb dessen die Stadt gegründet wurde. Ein

fehlendes präzises Jahr ist auch kein Schaden, da sich das Mittelalter

selbst in den wenigsten Fällen an die Anfänge erinnern wollte. Nicht

das Geburtsdatum, das Todesdatum eines Menschen war wichtig,

da es den Eingang der Seele in die Seligkeit bedeutete. Wir werden

auch nicht mehr so ausschließlich wie vor 50 Jahren die militärische

Funktion der Stadtgründung unterstreichen wollen. Eine Stadt ist

ein polyfunktionales Gebilde: Es ist bevölkerungsmäßiger, wirtschaft­

licher, geistiger und kultureller Mittelpunkt einer Region ebenso sehr

wie militärischer Mittelpunkt als eine Art Großburg.

In der Folge sehen wir Waiblingen als städtisches Gemeinwesen in

guter und rascher Entwicklung. Die erste Urkunde von 1253 lässt

allerdings noch keinen Stadtcharakter erkennen, sondern berichtet

lediglich von einer Schenkung Gräfin Mechthilds von Württemberg

an das Kloster Adelberg. 1295 erscheinen bereits acht Waiblinger

Bürger als Zeugen in einer Urkunde Ulrichs und Eberhards von

Württemberg für Kloster Salem, darunter ein Schultheiß, ein

Ungelter und andere städtische Amtsträger. Zwei Jahre später

erscheint ein Schulmeister (rector puerorum), was ohne Zweifel auf

ein funktionierendes und ausgebildetes Stadtwesen deutet. 1291

schließlich wird erstmals das Siegel der gesamten Bürgerschaft (uni-

versitatis civium) mit wiederum Waiblinger Bürgern erwähnt.

Dass die alte Pfarrkirche St. Michael nicht in die Stadt einbezogen

wurde und außerhalb des Mauerrings blieb, entspricht den Verhält-

nissen bei vielen anderen Stadtgründungen, sei es Ulm, Heidelberg

oder andere. Die Stadtmauer wird erst etwa ein halbes Jahrhundert

nach ihrer Erbauung, im Jahr 1297, genannt. Auch dafür haben

wir bei vielen anderen Städten Belege, auch für die Tatsache, dass

der endgültige Mauerbau sich über viele Jahre hinzog. Oft musste

sich die Stadt mit einer Holzpalisade begnügen, bis dann ein oder

zwei Jahrzehnte später der Mauerbau wirklich zum Abschluss kam.

Innerhalb der Stadt entstand die Nikolaus-Kapelle, die bereits 1249

und 1270 von einem Vikar versehen wurde. Auch hierfür haben wir

viele Parallelen.

Rund vier Jahrzehnte nach seiner Gründung gewann Waiblingen

in der Auseinandersetzung zwischen König Rudolf, der staufisches

Haus und Reichsgut wieder für das Reich zurückgewinnen wollte,

und Württemberg eine größere Bedeutung. Albrecht von Hohen-

berg konnte bei seinem Rachezug gegen Graf Eberhard im Sommer

1291 im Auftrag Rudolfs außer der Feste Endersbach auch die alte

Stauferburg von Waiblingen zerstören. Dass Eberhard daraufhin im

Herbst des Jahres 1292 ein großes Fest in Waiblingen abhielt, war

Eine Wappenzeichnung

von 1535

Im Schloss Waiblingen

geborener Graf Eberhard IV.

(1388 – 1419). Glasfenster

im Chor der Tübinger

Stiftskirche.

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